Alle Beiträge von Tim Meyer

Ach du dickes Ei!

Hildesheimer Studenten schreiben und produzieren ein Theaterstück innerhalb von 24 Stunden

Zu welcher Uhrzeit das Stück plötzlich ins Splatterhafte rutschte, können die vier Dramatiker nicht sagen. Es muss in den frühen Morgenstunden gewesen sein. Es hatte mit dem „philosophalen Ei“ angefangen und jetzt tauchen am Ende des Stückes zwei Puppen mit abgetrennten Köpfen auf.

Wenn man sich nicht zum Schlafen hinlegen will oder kann, sucht sich der Kopf eben andere Kanäle. Knapp 24 Stunden sind die Schreiber in diesem Moment schon auf den Beinen und bis zur Premiere der „Intemporale24“ sind es noch etwa zehn Stunden.
Der künstlerische Prozess bei diesem Projekt ist außergewöhnlich offen. Das Publikum darf überall hin. Den Schauspielern zuschauen, wie sie sich bei einer Aufwärmübung durch einen imaginären Wald kämpfen oder den Dramatikern gegenübersitzen, während sie brainstormen, recherchieren und schreiben.

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Hubertus Heil: „Die Gefahr, zum Arschloch zu mutieren, ist immer da.“

Hubertus Heil sitzt als SPD-Abgeordneter für den Wahlkreis Peine/Gifhorn im Bundestag. Was Opposition bedeutet, hat der 32-jährige Nachwuchspolitiker in seiner Karriere bisher noch nicht erlebt. Gut kennt er dafür jene Grabenkämpfe, bei denen von Sachfragen nichts mehr übrig bleibt.

Eine Festung aus Glas, Stahl und Beton am Spreeufer. Im siebten Stock sitzt ein junger Mann hinter einem großen Holztisch. Schwarzer Anzug, rotgestreifte Krawatte. Neben diversen Mappen und Tagesplänen stehen drei Bilder auf dem Tisch. Ein privates Hochzeits- und ein Urlaubsbild, sowie ein breit lachender Gerhard Schröder.

Neben den Bildern liegt ein blasser Stein. Mit ihm wollte eine Frau Anfang 2004 die Scheibe der Geschäftsstelle der SPD in Peine einwerfen. Sie hat den Stein dann aber lieber drinnen abgegeben, weil den Dreck ja die Sekretärinnen hätten wegmachen müssen. Die Beinahe-Täterin war unzufrieden mit der Gesundheitsreform.

Hubertus Heil ist 32 Jahre alt und sitzt seit 1998 als Abgeordneter des Wahlkreises Peine/Gifhorn für die SPD im Deutschen Bundestag. Er wiegt den Stein in seiner Hand hin und her und sagt: „Irgendwann möchte ich ihn der Frau zurückgeben, ohne dass sie noch Lust hat, damit die Scheiben einzuwerfen.“

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Retten, schlafen, retten, schlafen

Als Rettungsassistent kann man nicht ein Leben lang arbeiten, aber das macht den Job nicht schlechter als andere. 24 Stunden im Einsatz mit dem Rettungsassistenten Torge Schnieder.

Als würde ihm im Schlaf einer ins Gesicht schlagen. Torge schreckt hoch und wirft das Laken zur Seite. Um sechs Uhr morgens geht der Alarm los. Der zigarettenschachtelgroße Funkempfänger steckt im Ladegerät, das mit der Beleuchtung zusammengeschaltet ist. Alarm, Licht an, raus aus dem Bett. Zwischen Alarmierung und losfahren vergeht nicht einmal eine Minute. „Akkon hat verstanden.“ Die Leitstelle gibt Zielort, Name und eine oft vage Beschreibung des Problems durch. Dann heißt es, Gedanken ausschalten, Konzentration bis zum Anschlag.

Frühschichtverkehr, aber morgens fahren die Leute schneller zur Seite. An den Häuserwänden flackert das blaue Licht, die beiden Männer steigen aus und ziehen die Latexhandschuhe über. Notrucksack, EKG und Beatmungsgerät. Kiloschwer. Diesmal aber nur der zweite Stock.

Vor 22 Stunden hat Torge Schnieder seinen Dienst begonnen. Erst noch ein Küsschen durchs Fenster für Freundin Wiebke und dann Leben retten. Zumindest wenn alles gut geht. Torge ist einer von 13 Rettungsassistenten auf der Wache der Johanniter-Unfall-Hilfe in Göttingen. Seit über drei Jahren arbeitet er hier auf einer halben Stelle neben seinem Studium. Wirtschaftsingenieurwesen mit dem Schwerpunkt Feinwerktechnik. Wenn es klappt, will er später mal in der Entwicklung von medizinischen Geräten arbeiten.

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Einfach gehen

Wenn es in der Wohnung und im Kopf zu eng wird, muss man einfach mal raus. Gehen kann da befreien. Ein Experiment hat mich zu Fuß von Berlin aus in die brandenburgische Provinz geführt. Von der pumpenden Hauptstadt ins Karge. Ein Tatsachenbericht.

Stadt. Zweieinhalb Stunden geradeaus. Vom Alexanderplatz bis zur S-Bahnstation Heerstraße. Man muss raus aus dieser Stadt. Am Brandenburger Tor viel Auflauf. Ein neuer Bundespräsident wird gewählt. Köhler oder Schwan stehen zur Wahl. Aber das Ergebnis interessiert hier niemanden. Berlin pumpt auch ohne Herz weiter. Man geht über geschichtsschwangere Straßen, die auch nicht mehr als Asphalt sind, und isst Eier. Zwei Stück, scheiß Regen. Man, was für ein scheiß Regen. Jetzt sind die Häuser hier schon so hoch und sie halten den Regen trotzdem nicht auf. Plakate von Sex-Messen und Monty Roberts, dem Pferdeflüsterer. Locker bleiben und raus hier. Man geht dann einfach so, spricht nicht und plötzlich spricht da jemand. Schon komisch. Eine Regenhose leistet gute Dienste. Scheiß Regen. Zuerst lief das Wasser über die Hose direkt in die Schuhe. Jetzt perlt es auf die Straße. Wenn die Füße anfangen zu brennen, setzt man sich einfach hin. Guckt und wartet. Mal innehalten, mal die Seele baumeln lassen, mal auf die inneren Stimmen hören, dem inneren Jemand lauschen, mal das Leben Revue passieren lassen. Irgendwann hat dann alles Geradeaus mal ein Ende und es geht um die Ecke. Die Sonne bricht durch dunkelblaugrauschwarze Wolken. Um den Wolken näher zu sein, rauf auf den Teufelsberg. „Was für eine Aussicht“, steht auf einer Postkarte, die in einer kleinen Seitenstraße, in einem Kiosk, in einem weißen Drahtständer steckt. Ein Euro. Die Luft ist diesig, das Blicklicht des Fernsehturmes in der Ferne. Würde man dort losgehen und bis hierher laufen, sieht das nach einem langen Weg aus. Berlin ist groß. Wenn man vom Land kommt, könnte das hier wirklich eine Großstadt sein. Woltwiesche: Ein Dorf in der Mitte Niedersachsens mit 2000 Einwohnern und einer 850jährigen Geschichte. Es gibt einen Bahnhof, eine Volksbank, zwei Bäcker, zwei kleine Einkaufsläden, eine Grundschule und die Gemeinschaft „Unser Dorf soll schöner werden“. Vor vielen Jahren geschah einmal ein Mord. Auf dem Teufelsberg. Auf der einen Seite der Alexanderplatz, auf der anderen drei Abhörkugeln. Man könnte jetzt darüber nachdenken, was die für eine Aufgabe hatten, muss man aber auch nicht. Wirklich nicht. Das kann man einfach so hinnehmen. Wir sind doch nicht im Kalten Krieg. Die schöne Aussicht muss ein Ende haben. Über eine halbvermoderte Treppe hinunter. Runter vom Teufel. Und irgendwann muss der irgendwohin kacken. Rein in den Busch.

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