Seit 30 Jahren fotografiert Erika Rabau bei Berlinale und Theatertreffen.
Der Papst lässt nicht mehr jeden ran. Die Privataudienzen wurden beschränkt. Unter dem Rang eines Staatspräsidenten ist nicht mehr viel möglich. Eine Verabredung mit Erika Rabau zu bekommen, gestaltet sich anders, aber ähnlich schwierig. Die erste Hürde ist, einen ruhigen Moment zu erwischen. Seit ihrem Hüftbruch humpelt sie zwar, aber weglaufen oder besser: hinlaufen, wo sich gerade wieder etwas zum Abschießen bietet, kann sie immer noch. Steht man ihr dann doch gegenüber, stellt sie zuerst eine Sache klar: „Das Sie kannst du dir gleich abschminken. Ich bin ein Du.“ Es ist wichtig zu wissen, dass Erika ein Gespräch so beginnt – genau so. Bereits in den ersten fünf Minuten muss eine Entscheidung getroffen werden. Entweder hat man sie gern – oder man findet sie einfach nur nervig.
Die alterslose Erika Rabau ist die ewig anwesende Fotografin. Zumindest wenn es um Film und Theater geht. Seit mehr als 30 Jahren dokumentiert sie nahezu jede Veranstaltung der Berlinale und des Theatertreffens. Die Arbeit steht ihr ins Gesicht geschrieben. „Das setzt sich ja nicht in die Kleider“, erklärt sie mit einem winzigen Lächeln. Sie denkt nicht ans Aufhören. Dachte nicht daran als sie vor fünf Jahren eine Ohnmacht in einer Pressekonferenz umhaute – schon nach einer Stunde verließ sie das Krankenhaus wieder, weil sie einen Termin hatte –, denkt nicht daran, nachdem ein Hüftbruch sie heute etwas langsamer macht. „Die Faszination hält mich wach. Mich interessieren der Film und das Theater. Und vor allem die Menschen. Wenn du das Gesicht eines Menschen fotografiert, brauchst du keine Landschaften mehr zu knipsen.“ Warum es gerade die Menschen aus Film und Theater sein müssen, kann sie nicht genau erklären. „Sie haben eine Ausstrahlung, die man nicht beschreiben kann.“
Heute hat sie auf ein Gespräch keine Lust
Beim ersten Treffen mit Erika, ist nach dem schnellen Kennenlernen erstmal wieder Schluss. Heute hat sie auf ein Gespräch keine Lust, gibt aber ihre Telefonnummer heraus. Nächster Tag, erster Anruf: „Ich bin gerade auf der Gala des Deutschen Filmpreises. Ich kann dich nicht verstehen und ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht. Ruf morgen noch mal an. Aber nach 14 Uhr, okay?“ Okay. Bei der Gala ist sie bis 4.30 Uhr geblieben, wie sie später erzählt. Schlafen? Warum? Am nächsten Tag der zweite Anruf: „Ich bin gerade bei den Kindern. Es ist so laut hier, aber wir können uns nachher um 19 Uhr treffen. Okay? Am Haus der Berliner Festspiele.“ Die Wahl eines anderen Ortes ist während des Theatertreffens schier unmöglich. Und dann heißt es, sich langsam annähern. Aber viel näher als während der ersten fünf Minuten, ist an Erika nicht heranzukommen. Sie ist ein offener Mensch mit klaren Grenzen. Grenzen einreißen kann sie trotzdem sehr gut.
Mit 17 Jahren geht sie nach Buenos Aires. Der Liebe wegen. Eigentlich will sie nach dem Abitur Medizin studieren. Ein großblonder Adonis, ein Deutsch-Argentinier, verdreht ihr in Deutschland den Kopf und nimmt sie mit in seine Heimat. Sie heiratet ihn. Nach drei Monaten ist die Liaison wieder vorbei, als sich der Adonis als eifersüchtiger Othello entpuppt, wie Erika erzählt. „Furchtbar. Ich sollte nur noch für ihn da sein, hatte aber andere Pläne. Er hatte sich schwer in mir getäuscht.“
Die Stadt ist groß, aber Angst hat Erika selten.
Als ihr Mann geschäftlich in Montevideo ist, haut Erika ab und findet einen Job in einer Buchhandlung. Sie kann noch sehr wenig Spanisch, kommt trotzdem zurecht. Nachdem sie diese Arbeit aufgibt, macht sie alles, um Geld zu verdienen. Maschinenstickerei, Taxifahren. Ein junges Mädchen in einem alten Chevrolet. Klapprig, die Reifen wie Radiergummis. Die Stadt ist groß, aber Angst hat Erika selten. Einmal muss sie mit dem Taxi einen Mann in einen 60 Kilometer entfernten Ort aus der Stadt bringen. Es ist einer der wenigen Momente, in denen sie sich unsicher fühlt und froh ist, als sie heil zu Hause ist. Rückblickend findet sie aber in dieser Zeit alles schön und aufregend. „Wenn ich angespannt war, habe ich mir einen Tritt ins Kreuz gegeben und gesagt: Da musst du jetzt durch.“
Nach etwa zwei Jahren kommt sie zu dem Bühnenfotografen Sigmund Perl und macht ihre ersten Fotos. „Er hat mich gleich an alles heran gelassen und zu Aufträgen rausgeschickt. Das war hervorragend.“ Erika fotografiert im Theatro Colon und macht später auch Socials, Klatschgeschichten auf höherer Ebene, wie sie erklärt. Alles ist learning by doing. Was sie heute kann, lernt sie in dieser Zeit. Trotzdem ist die Verbindung nach Deutschland nicht ganz gekappt. In den zehn Jahren, die sie in Argentinien bleibt, drängen sie ihre Eltern immer wieder zurückzukommen. Viermal fliegt sie nach Deutschland. Dreimal fliegt sie wieder zurück. In ihrer alten Heimat ist es ihr zu eng und kleinkarriert. 1960 platzt dann doch der Knoten. Sie bleibt in Berlin.
„In einer Koje schlafe ich am besten.“ Vielleicht ist das ein Grund, warum sie eine Leidenschaft für das Segeln entdeckt hat. Während der Berlinale und des Theatertreffens schläft sie immer nur etwa drei Stunden. Also segelt sie, um sich wieder auszuruhen. „Segeln bedeutet die absolute Freiheit. Man steht auf und springt nackt ins Meer.“ Mit ihrem vor drei Jahren gestorbenen Mann Heiner durchkreuzt sie das ganze westliche und östliche Mittelmeer. Und wenn es um Boote und Technik geht, sprudelt Erika. Sie ist nicht einfach Seglerin: „Ich war Vorschoter und sehr wendig“, sagt Erika und fügt fast etwas entschuldigend hinzu: „Wenn ich sehe, wie schwerfällig ich mich heute bewege, bin ich ganz verzweifelt. Aber ich bemühe mich, wieder richtig fit zu werden.“ Zuerst verliert sie ihren Mann Heiner, dann hört sie mit dem Segeln auf. Beides hat eine große Lücke in ihrem Leben hinterlassen.
Seit 1972 arbeitet sie als Fotografin bei der Berlinale. Bis heute.
1960 kommt Erika endgültig zurück nach Deutschland. Aufgrund ihrer Sprachbegabung wird sie als Dolmetscher eingesetzt. Die Star-Übersetzerin Alice Braunstein bucht Erika für die lateinamerikanische Delegation bei den internationalen Filmfestspielen. Braunstein sagt ihr, sie könne die Kamera mitnehmen. Das ist ihr fotografischer Anfang in Deutschland. „Alfred Bauer, erster Direktor der internationalen Filmfestspiele, ist dann auf mich aufmerksam geworden und hat mich für die nächsten Festspiele engagiert. Ein Glücksfall.“ Seit 1972 arbeitet sie als Fotografin bei der Berlinale. Bis heute.
Zu Erika gehört es, sich von anderen fotografieren zu lassen. Bei der Eröffnung des diesjährigen Theatertreffens drückt sie Rebecca Horn die Kamera in die Hand. „Sie hatte diese Wahnsinnsidee. Ich sollte mich an den Magnolienbaum stellen. Sie dirigierte mich herum, bis ich die Mondsichel genau überm Kopf hatte. Wie ein Lamm bin ich herumgelaufen“, erzählt Erika. Dass Rebecca Horn eine ziemlich bekannte Installationskünstlerin ist, weiß Erika gar nicht. „Ja, Rebecca heißt sie. Was macht die?“ Sie sammelt nicht Namen, sie sammelt Menschen.
Nach ihren schönsten Moment gefragt, mag sie eigentlich keinen besonders herausstellen. Alles war aufregend. Dann erinnert sie sich aber doch, wie sie mit Geraldine Chaplin und Carlos Saura um die Häuser gezogen ist. „Früher war es noch etwas lockerer, nicht so abgeschirmt.“ Aber von den vielen Fotos, die sie während der Berlinale und des Theatertreffens geschossen hat, findet sie oft ihre Lieblingsbilder nicht mehr. Wie auch ein Foto von Armstrong und Kollegen, die sie auf ihrer Goodwill-Tour in Berlin aufnimmt. „Ich bin sehr chaotisch. In meiner Wohnung musst du Inseln suchen, wo du hintreten kannst. Überall liegen Zeitungen und Fotos. Deswegen darf da auch keiner rein.“
„Am ehesten würde ich Erikas Stil als liebevoll dokumentarische Arbeit und professionelle Amateurfotografie beschreiben“, sagt Bernd Krüger und lächelt.
Bernd Krüger, seit den 70ern Redakteur des Theatertreffen-Magazins, kennt Erika schon sehr lange: „Sie ist im besten Sinne eine Familienfotografin und ihre Familie ist die Welt der Stars.“ Die Menschen im Hintergrund seien ihr aber genauso wichtig. Sie wolle eben alles ablichten und das nie aus dem Hinterhalt. Wer nicht will, der guckt eben nicht, wenn sie versucht, einen herumzudirigieren. Die Ergebnisse hatte Krüger immer auf seinem Tisch. „Am ehesten würde ich Erikas Stil als liebevoll dokumentarische Arbeit und professionelle Amateurfotografie beschreiben“, sagt Krüger und lächelt.
Erika will in Zukunft einfach nur weiterarbeiten. Momente sammeln. Möglichst jeden Moment. Dann verabschiedet sie sich mit zwei Wangenküssen und geht zur nächsten Publikumsdiskussion. Sie ist schon müde. Aber sie muss trotzdem fotografieren. Heute und jeden weiteren Tag. „Es geht mir darum, es zu tun. Es einfach zu machen.“ Sie denkt nach. „Ich weiß nicht, was mich antreibt.“
Das Porträt erschien in der Festivalzeitung
des Berliner Theatertreffens, Mai 2006.