Ich pinkel jetzt mal einer Stadt in Niedersachsen ans Bein. Vor acht Jahren habe ich Hildesheim verlassen. Das Studium war beendet. Es zog mich zur nächsten Herausforderung. Nach meinem Besuch heute fühlt es sich so an, als müsste ich so schnell auch nicht wieder dorthin zurück. Dabei hatte ich immer etwas Fernweh nach diesem Sehnsuchtsort. Ich dachte immer, Berlin entzieht mir mit seiner Lautstärke, dem Dreck und dem ewig ON-Status viel Energie. Doch die 1-Euro-Laden-Tristesse in Hildesheim raubt mir viel von meiner Nostalgie. Hildesheim war für mich immer dieser chaotische Stadthaufen, der von den kreativen Studenten befeuert wurde. Studenten, denen nicht nur ihr Egoismus sondern auch die Stadt mit all ihren Menschen am Herzen lag. Lücken wurden besetzt, Schrebergartenköpfe aufgebrochen, neue Perspektiven angeboten. Irgendwann muss aber auch eine Stadt mitziehen und diese Ideen in ein städtebauliches Konzept einfließen lassen. Ist das passiert? Ich sehe das nicht.
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Einfach gehen
Wenn es in der Wohnung und im Kopf zu eng wird, muss man einfach mal raus. Gehen kann da befreien. Ein Experiment hat mich zu Fuß von Berlin aus in die brandenburgische Provinz geführt. Von der pumpenden Hauptstadt ins Karge. Ein Tatsachenbericht.
Stadt. Zweieinhalb Stunden geradeaus. Vom Alexanderplatz bis zur S-Bahnstation Heerstraße. Man muss raus aus dieser Stadt. Am Brandenburger Tor viel Auflauf. Ein neuer Bundespräsident wird gewählt. Köhler oder Schwan stehen zur Wahl. Aber das Ergebnis interessiert hier niemanden. Berlin pumpt auch ohne Herz weiter. Man geht über geschichtsschwangere Straßen, die auch nicht mehr als Asphalt sind, und isst Eier. Zwei Stück, scheiß Regen. Man, was für ein scheiß Regen. Jetzt sind die Häuser hier schon so hoch und sie halten den Regen trotzdem nicht auf. Plakate von Sex-Messen und Monty Roberts, dem Pferdeflüsterer. Locker bleiben und raus hier. Man geht dann einfach so, spricht nicht und plötzlich spricht da jemand. Schon komisch. Eine Regenhose leistet gute Dienste. Scheiß Regen. Zuerst lief das Wasser über die Hose direkt in die Schuhe. Jetzt perlt es auf die Straße. Wenn die Füße anfangen zu brennen, setzt man sich einfach hin. Guckt und wartet. Mal innehalten, mal die Seele baumeln lassen, mal auf die inneren Stimmen hören, dem inneren Jemand lauschen, mal das Leben Revue passieren lassen. Irgendwann hat dann alles Geradeaus mal ein Ende und es geht um die Ecke. Die Sonne bricht durch dunkelblaugrauschwarze Wolken. Um den Wolken näher zu sein, rauf auf den Teufelsberg. „Was für eine Aussicht“, steht auf einer Postkarte, die in einer kleinen Seitenstraße, in einem Kiosk, in einem weißen Drahtständer steckt. Ein Euro. Die Luft ist diesig, das Blicklicht des Fernsehturmes in der Ferne. Würde man dort losgehen und bis hierher laufen, sieht das nach einem langen Weg aus. Berlin ist groß. Wenn man vom Land kommt, könnte das hier wirklich eine Großstadt sein. Woltwiesche: Ein Dorf in der Mitte Niedersachsens mit 2000 Einwohnern und einer 850jährigen Geschichte. Es gibt einen Bahnhof, eine Volksbank, zwei Bäcker, zwei kleine Einkaufsläden, eine Grundschule und die Gemeinschaft „Unser Dorf soll schöner werden“. Vor vielen Jahren geschah einmal ein Mord. Auf dem Teufelsberg. Auf der einen Seite der Alexanderplatz, auf der anderen drei Abhörkugeln. Man könnte jetzt darüber nachdenken, was die für eine Aufgabe hatten, muss man aber auch nicht. Wirklich nicht. Das kann man einfach so hinnehmen. Wir sind doch nicht im Kalten Krieg. Die schöne Aussicht muss ein Ende haben. Über eine halbvermoderte Treppe hinunter. Runter vom Teufel. Und irgendwann muss der irgendwohin kacken. Rein in den Busch.