Ich pinkel jetzt mal einer Stadt in Niedersachsen ans Bein. Vor acht Jahren habe ich Hildesheim verlassen. Das Studium war beendet. Es zog mich zur nächsten Herausforderung. Nach meinem Besuch heute fühlt es sich so an, als müsste ich so schnell auch nicht wieder dorthin zurück. Dabei hatte ich immer etwas Fernweh nach diesem Sehnsuchtsort. Ich dachte immer, Berlin entzieht mir mit seiner Lautstärke, dem Dreck und dem ewig ON-Status viel Energie. Doch die 1-Euro-Laden-Tristesse in Hildesheim raubt mir viel von meiner Nostalgie. Hildesheim war für mich immer dieser chaotische Stadthaufen, der von den kreativen Studenten befeuert wurde. Studenten, denen nicht nur ihr Egoismus sondern auch die Stadt mit all ihren Menschen am Herzen lag. Lücken wurden besetzt, Schrebergartenköpfe aufgebrochen, neue Perspektiven angeboten. Irgendwann muss aber auch eine Stadt mitziehen und diese Ideen in ein städtebauliches Konzept einfließen lassen. Ist das passiert? Ich sehe das nicht.
Ja, ja, die kreativen Studenten gibt es wahrscheinlich immer noch, aber warum – vielleicht ein komisches Beispiel – hängen in der Uni im Treppenhaus Richtung Bibliothek immer noch die Bilder, die ich schon vor acht Jahren nicht mehr sehen konnte. (Die Bibliothek hat jetzt übrigens samstags bis 18 Uhr geöffnet und unter der Woche sogar bis 21 Uhr. Ich habe gerne am Samstag Dienst in der Bibliothek geschoben – das war ein friedlicher Arbeitsplatz.) Der Tunnel, der den Übergang von kaputter zu schicker Fußgängerzone erleichtert hat, ist zugeschüttet. Ich habe es noch nie in einer anderen Stadt erlebt, dass es eine Grenze gibt, die Leben und Tod so deutlich trennt. Nördlich der Kaiserstraße ist Hildesheim noch abgefuckter als jemals zuvor. Ach ja, natürlich gibt es noch das Porno-Kino und den Puff am Bahnhof – bestimmte Dinge sind einfach unverwüstlich. Und es gibt jetzt auch in Hildesheim ein Einkaufs-Multiplex, die Arneken-Galerie. Genau, stellt so ein Scheiß-Center mitten in die Stadt und saugt auch noch den letzten Rest aus den Einzelhändlern. Ach so, der Bahnhof wird auch umgebaut und muss sich bald nicht mehr hinter Hannover verstecken, sagt man. Was? Die Domäne Marienburg, heute KULTUR-Campus, yeah, ist jetzt Schickimicki, mit Pollern, damit die Autos auch bloß nicht an die falsche Stelle fahren, mit Hochzeitsfoto-Terrorismus und vielen neuen Gebäuden. Schön, dass in dem Vorraum von Ortheils Büro immer noch die abgeranzte Ledercouch steht und nicht von einer weißen Colani-Sitzgelegenheit ersetzt worden ist. Ich weiß nicht… Ich hatte mich heute auf Hildesheim gefreut, aber die Stadt ist mir im Gegenzug nicht mit Freude begegnet. Ich empfand sie als eng, spießig, billig, und an manchen Orten hat sie sich als Blender gezeigt. Ob Hildesheim noch über 100.000 Einwohner hat und damit eine Großstadt ist, ist momentan auch nicht ganz so klar (http://de.wikipedia.org/wiki/Hildesheim). Heute hat es sich so angefühlt, als sei es keine Großstadt mehr, sondern eine austauschbare Kleinkomune. Ich sage jedoch explizit HEUTE. Ein kleiner Lichtblick: Hildesheim hat jetzt endlich einen Musikinstrumentenladen mit kompetenter, freundlicher Beratung. Mein Hildesheim, wo bist Du?