Archiv der Kategorie: Texte

Rauchen, angeln und träumen in Istanbul

Ein Streifzug in Istanbul, Oktober 2008.

Überall riecht es nach Fisch. Auf der Galata-Brücke reihen sich die Angler wie Legehennen aneinander. In kleinen Eimern zappeln und ersticken langsam lütte Fische, die die Männer aus der Bosporusbucht des Goldenen Horns ziehen. Alle zwanzig Meter gibt es einen Stand mit Zubehör: Haken, Schnüre, Gewichte und Becher voller Schrimps – als Köder. Wenn die letzten Angler die Brücke verlassen haben, kleben auf der Brüstung nur noch ein paar angetrocknete Krustentierfragmente. Und es stinkt.

Auf der anderen Seite der Brücke drei Kähne, auf denen halbe, gebratene Fische in Brot verkauft werden – und Touristenschiffe. Mit einem dieser Boote geht es raus Richtung Bosporus, von Europa nach Asien, unter großen Hängebrücken hindurch. Auf dem anderen Kontinent, am Ufer entlang, stehen Häuser mit verschlossenen Jalousien. Auf den Terrassen Sitzmöbel, unter Schutzbezügen verpackt. Wenn es an Bord dieses Schiffes Lautsprecher geben würde, müsste der Kapitän jetzt erzählen, dass in diesen Villen Hollywoodstars leben, wenn sie nicht gerade in Berlin mit der gesamten Familie am Wannsee wohnen, weil sie mit Quentin Tarantino drehen. Aber weil das keiner erzählen kann, kommt ständig ein Mann herumgelaufen und will Chips, Tee und frisch gepressten Saft verkaufen. Es ist windig.

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Für einen neuen Arbeitsbegriff Verbrechen begehen

Alle Verbesserung im Politischen soll von Veredlung des Charakters ausgehen – aber wie kann sich unter den Einflüssen einer barbarischen Staatsverfassung der Charakter veredeln?

Friedrich Schiller
Über die ästhetische Erziehung des Menschen

Sie hätten sich kein besseres Jahr aussuchen können. 2007 werden 400 Jahre Mannheim gefeiert und die Stadt putzt sich heraus. Bereits vor sieben Jahren starteten im Hinblick auf das Jubiläum verschiedene Baumaßnahmen. Für die SAP-Arena wurde ein Anschluss an den neuen Stadtbahnring Ost umgesetzt, man sanierte die Fußgängerzone Breite Straße und die Blumenbeete am Wasserturm sehen heute noch etwas akkurater und bunter aus. Gerade wird rund um die Wasserspiele wieder geharkt und gezupft. Man ist beschäftigt. Auch wenn man dafür vielleicht nur einen Euro bekommt. In Mannheim waren im Mai 2007 8,6 Prozent aller Erwerbspersonen arbeitslos. Die Stadt lag damit knapp unter dem Bundesdurchschnitt von 9,1 Prozent.

Regisseur Simon Solberg und Dramaturg Volker Bürger arbeiten seit April 2007 mit acht Hartz-IV-Empfängern an Pimp The City. Mit der ARGE Job Center Mannheim und dem Gemeinschaftswerk Arbeit und Umwelt e. V. wurde ein Team aus Langzeitarbeitslosen zusammengestellt. Das Ziel: Mannheim zu pimpen, aufzumotzen. Die beiden Männer vom Nationaltheater Mannheim hatten bereits im November letzten Jahres die Reihe Making of The Band entwickelt. Making of The Bandwar ein halbdokumentarisches Format, das von vier Musikern handelte, die Helden werden wollten, um die Stadt zu verändern. Dabei kam es bereits zu einer Zusammenarbeit mit Hartz-IV-Empfängern. Das reizte Solberg so sehr, dass er anschließend begann, an einer neuen Idee zu arbeiten: „Wir wollten den Starkult umdenken und in Menschen investieren, die am Rand stehen.“

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Am Rande einer Stadt

HILDESHEIM. SOMMER 2006. In einer Stadt. Aus einer Stadt hinaus. Hildesheim. Historisch, zerbombt, wieder aufgebaut. Was befindet sich an der Peripherie einer Großstadt, die mit ihren 101786 Einwohnern auf Platz 79 von 81 Großstädten in Deutschland steht? Knapp 4000 Hildesheimer weniger als noch vor 10 Jahren. Ziehen noch einmal 2000 weg, wird aus dem Großstädtchen eine Kleinstadt. Hinter dem Bahnhof geht die Wanderung los. Im Uhrzeigersinn einmal rundherum.

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Erika Rabau: Ich bin ein Du

Seit 30 Jahren fotografiert Erika Rabau bei Berlinale und Theatertreffen.

Der Papst lässt nicht mehr jeden ran. Die Privataudienzen wurden beschränkt. Unter dem Rang eines Staatspräsidenten ist nicht mehr viel möglich. Eine Verabredung mit Erika Rabau zu bekommen, gestaltet sich anders, aber ähnlich schwierig. Die erste Hürde ist, einen ruhigen Moment zu erwischen. Seit ihrem Hüftbruch humpelt sie zwar, aber weglaufen oder besser: hinlaufen, wo sich gerade wieder etwas zum Abschießen bietet, kann sie immer noch. Steht man ihr dann doch gegenüber, stellt sie zuerst eine Sache klar: „Das Sie kannst du dir gleich abschminken. Ich bin ein Du.“ Es ist wichtig zu wissen, dass Erika ein Gespräch so beginnt – genau so. Bereits in den ersten fünf Minuten muss eine Entscheidung getroffen werden. Entweder hat man sie gern – oder man findet sie einfach nur nervig.

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Ein Drama der Stimmen

„Der Kick“ als Hörspiel. Ein Theaterbesuch mit einem Blinden.

„Ich bin der Mann mit dem weißen Stock.“ Schon bei unserem ersten Telefonat macht sich Jonas über meine Frage lustig, wie ich ihn denn erkennen werde. Wir wollen uns für ein Experiment treffen. Natürlich gibt es Berührungsängste. Er taucht aus der S-Bahn auf, wir begrüßen uns, gehen los. Sachte, behutsam berührt er meinen Arm. Jonas ist blind, und wir besuchen gemeinsam „Der Kick“.

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